Boxerin Viviane Obenauf (29) kämpft mit den Tränen, wenn sie über die Probleme und die Armut in ihrem Heimatland spricht. Trotzdem prophezeit sie unseren Olympioniken schöne Spiele in Rio.
Die Copacabana und die Samba-Tradition. Die Favelas und die Kriminalität. Gegensätzlicher könnten die Sonnen- und Schattenseite Rio de Janeiros nicht sein. Wer beides kennt ist Profiboxerin Viviane Obenauf. Die 29-Jährige ist in Rio geboren und 180 Km nördlich in Juiz de Fora gross geworden.
Sie selbst habe das Glück gehabt, in einer Familie der Mittelschicht aufzuwachsen. Die grosse Armut in ihrem Heimatland blieb und bleibt Viviane Obenauf nicht verborgen. Jedes Jahr reist die Box-Trainerin, die seit 2008 in der Schweiz lebt, nach Sao Geraldo in die Heimatstadt ihrer Mutter, um mit eigenen Sport-Projekten dortige Kinder zu unterstützen.
«Die Kinder kommen ohne Schuhe zum Sport, weil sie keine haben», erzählt Viviane Obenauf, «ein gutes Leben kennen sie nur aus dem Fernseher.» Die Gedanken daran machen die Mutter eines fünfjährigen Sohnes so traurig, dass sie beim Erzählen mit den Tränen kämpft. In Brasilien gebe es nur drei Möglichkeiten, um einer hoffnungslosen Zukunft in Armut zu entrinnen. «Dank einem Uni-Abschluss einen Top-Beruf zu erlernen, Spitzensportler zu werden oder Krimineller.» Dass sie es geschafft hat, sich in der Schweiz ein unabhängiges Leben aufzubauen, macht sie in den Augen dieser Kinder schon zu einer Heldin.
Obwohl sie nicht schlecht über ihre Heimat sprechen möchte – «ich liebe das Land» – macht sie kein Geheimnis daraus, «dass neben der Schönheit Rios die Gewalt brutale Realität ist». Ist sie für ihre Projekte in den Favelas unterwegs, vertraut sie immer auf den gleichen Fahrer, der sich gut auskennt. «Etwas gebessert hat es sich in den Favelas. Es ist nicht mehr so schlimm wie noch vor wenigen Jahren, als Kinder bewaffnet rumgelaufen sind.» Die Militärpolizei habe für mehr Ordnung gesorgt. Trotzdem müsse man vorsichtig sein. Auch die Profiboxerin geht nur ohne Schmuck und Wertsachen aus dem Haus.
Berühmte Spitzensportler werden in Brasilien respektiert. Auch weil sie sich oft für Kinderhilfsprojekte engagieren. «Im Gegensatz zu den vielen Reichen, die einfach nichts mit den Armen zu tun haben wollen», weiss Viviane Obenauf. Dass der Staat nun so viel Geld für Olympia ausgegeben habe, sei deshalb in der Gesellschaft nicht nur auf Verständnis gestossen. «Man hätte die Investitionen lieber im Gesundheits- oder Schulwesen gesehen.»
Trotzdem prophezeit sie allen Olympioniken unvergessliche Spiele – weil die Brasilianer trotz all ihrer Probleme eines immer seien: leidenschaftlich, freundlich, offen! Für Viviane Obenauf das Schönste in Rio: «Die Copacabana. Bin ich dort an der Strandpromenade, fühle ich mich zuhause.» Und ganz typisch für Rio: «Die vielen Steakhäuser mit super Fleisch.» Was ihr hier in der Schweiz ein Lächeln auf die Lippen zaubert, sind «Pao de queijo», brasilianische Käsebällchen. Diese lassen sie ihre Wurzeln nie vergessen.