Vladimir Petkovic (52) verteidigt seine Captain-Hierarchie, stützt und tadelt Xherdan Shaqiri. Und sagt, dass er manchmal einen Panzer braucht.
SonntagsBlick: Herr Petkovic, Xherdan Shaqiri ist sauer, weil er keiner der drei Captains ist. Verstehen Sie seinen Ärger?
Vladimir Petkovic: Nein. Diese Hierarchie ist für alle klar. Für ihn, für mich, für die Mannschaft.
Sie haben Stephan Lichtsteiner vor Valon Behrami und Granit Xhaka bestimmt. Ihn stört vor allem, dass der jüngere Xhaka vor ihm steht.
Ich sehe es im Moment so, dass dies richtig ist. Ich wüsste nicht, warum ich meine Dispositionen auf solchen Befindlichkeiten aufbauen sollte.
Shaqiri kokettiert auch wegen dieses Frusts mit dem Kosovo. Fragte vor dem Rumänien-Spiel rhetorisch: «Was ist, wenn der Kosovo mich als Captain will?» Wie bewerten Sie das?Schauen Sie, jeder ist für seine Aussagen selber verantwortlich.
Wie beurteilen Sie denn Shaqiris Leistungen bisher an der EM?
Wie die Mannschaft hat auch er sich gegen Rumänien gesteigert. Er hat viel für seine Teamkollegen gemacht. Auch gute Sachen offensiv ausgelöst. Einige Freistösse provoziert. Aber man sieht bei dieser EM ganz allgemein, dass nicht viele Einzelspieler den Unterschied ausmachen. Und wenn, dann mit einem Schuss aus der Distanz. Individualisten haben es schwer. Ich bin zufrieden, dass Xherdan in diesem Moment kein Individualist, sondern ein Teamplayer ist. Er gibt alles fürs Team. Er soll so weitermachen. Wenns der Mannschaft läuft, profitiert jeder. Auch er.
Die Mannschaft hat aus zwei Spielen vier Punkte geholt. Es gibt durchaus Argumente, wieder die gleiche Startelf zu bringen. Oder planen Sie Wechsel?
Ich muss schauen, wer in welcher körperlichen Verfassung ist. Wer allenfalls müde ist. Dann entscheide ich. Dabei kann ich aus dem Vollen schöpfen. Niemand ist verletzt, alle trainieren und ziehen super mit.
Haris Seferovic hat viele Chancen vergeben in den ersten beiden Spielen.
Ein Stürmer wird halt schnell verurteilt, wenn er gute Möglichkeiten nicht zu Toren macht. Wie auch ein Torhüter härter bewertet wird, wenn ihm ein Fehler passiert. Da muss man hohe Moral zeigen. Seferovic hat zum Glück einen harten Kopf. Er hat die Mentalität, das nicht zu ernst zu nehmen und sich wieder Chancen zu erarbeiten. Er gibt nie auf. Kämpft immer weiter. Irgendwann kommt das Tor.
Wie können Sie ihm helfen?
Man muss ihn in Ruhe lassen. Ein paar Tipps geben. Und er muss im Training einfache Bälle rein machen. Aber er darf sich nicht aus der Verantwortung ziehen, muss weiter versuchen, den Abschluss zu suchen. Er ist nicht der Sündenbock, man muss jetzt nicht auf ihn schiessen.
Spieler wie Behrami, Schär oder Xhaka sind mit Gelb vorbelastet und wären bei einer weiteren Verwarnung im Achtelfinal gesperrt. Denken Sie daran, diese zu schonen?
Wir sind noch nicht qualifiziert – darum brauchen wir die besten Spieler auf dem Feld. Falls wir 3:0 vorne sind, nehme ich dann gerne darauf Rücksicht und wechsle den einen oder anderen aus ... (lacht)
Stark war bisher Granit Xhaka. Haben Sie das Gefühl, er wächst an seiner Aufgabe?
Er hat einen guten Schritt nach vorne gemacht. Aber er muss so weitermachen. Bei Arsenal erwartet man nachher von ihm Top-Leistungen über das ganze Jahr. Er muss dieses Level halten.
Man erlebt Sie an diesem Turnier gelassener. Täuscht der Eindruck?
Das ist mein Naturell. Fragen Sie in Italien, in der Türkei, wo ich gearbeitet habe. Ich bin genau so. Umgänglich. Locker. Nur: Wenn man direkt auf mich schiesst, dann muss ich halt auch mal den Panzer anziehen.
Sie haben gehofft, dass man aus den ersten zwei Spielen sechs Punkte holt und dann schon qualifiziert ist. Das war eine forsche Prognose. Nun sind es immerhin vier Zähler.
Ja, und wir haben immer noch Chancen auf den Gruppensieg. Aber vielleicht ist es von der mentalen Seite her gar nicht so schlecht. Ich glaube an die Sensation. Auch für die Franzosen ist es kein Spaziergang gegen uns.
Wenn Sie Didier Deschamps wären: Hätten Sie Karim Benzema aufgeboten?
Zum Glück bin ich nicht Deschamps, zum Glück bin ich Petkovic (schmunzelt).
Haben Sie das 2:5 der Schweiz an der WM 2014 gegen Frankreich gesehen?
Natürlich, nicht als Trainer, sondern als Schweizer, der sich für die Nati interessiert. (Pause) Jetzt können wir zeigen, welche Entwicklung wir gemacht haben – ich bin sicher, wir sind reifer geworden.
Wie gut haben Sie die Franzosen mit der Mannschaft angeschaut?
Grundsätzlich schaue ich vor allem auf meine eigene Mannschaft. Am Abend vor dem Spiel machen wir ein Videostudium über den Gegner. Vor dem Abendessen. Nicht zu lang. Damit sind wir nicht schlecht gefahren bisher.
Denken Sie daran, auf Unentschieden zu spielen?
Das ist immer ein gewisses Risiko. Mit der Mannschaft, die wir haben, müssen wir versuchen, zu gewinnen.
Das 1:1 gegen Rumänien war spielerisch gut bis sehr gut. Wie nah war es an der perfekten Vorstellung von Ihrem Fussball?
Für mich gibt es keine Idealvorstellung in diesem Sinne. Meine Traumvorstellung ist, dass wir immer 10 Prozent besser werden. Am Ende haben wir den Auftrag, ein Tor mehr zu schiessen als der Gegner. Und das haben wir gegen Rumänien versäumt. Wir haben uns selber nicht ausreichend belohnt.
War es das beste Spiel in Ihrer Amtszeit?
Komischerweise gewinnen wir nie in den spielerisch besten Spielen (schmunzelt). Gegen Slowenien verloren wir 0:1, gegen Rumänien spielten wir unentschieden. Ich frage mich manchmal, ob es nicht besser wäre, weniger schön zu spielen und zu siegen. Wie gegen Albanien, da holten wir nicht das Maximum raus und gewannen.
Sind Sie mit den Kritiken nach den beiden Spielen nun zufrieden?
Ich bekomme von der Mannschaft, was ich erwarte. Aber was nach dem Rumänien-Spiel geschrieben wurde, ist nicht das, was ich gesagt habe.
Was meinen Sie?
Es wurde geschrieben, ich hätte zu den Journalisten gesagt: «Jetzt seid ihr hoffentlich auch zufrieden.» Das stimmt so nicht, ich meinte uns alle zusammen. Ich habe die Journalisten während der Euro-Vorbereitung zu einem Boots-Ausflug in Lugano eingeladen, um zu symbolisieren: Wir sitzen alle in einem Boot. Und wir hoffen, dass wir gemeinsam möglichst weit kommen.
Es ist Ihr erstes Turnier. Haben Sie Stress während der EM?
Ich kenne keinen Stress. Den kann ich mir nur selbst machen. Ich geniesse das Turnier. Natürlich nicht so, wie wenn man auf der Tribüne ein Spiel schaut. Wenn ich ins Stadion komme, nehme ich nicht mehr viel von dem wahr, was um mich herum ist. Ich schaue nur auf den Platz. Aber das Fest von Schweizern und Albanern in Lens habe ich natürlich mitbekommen. Die Positivität der Menschen, dieser Respekt gegenüber einander – das war schön. Schade, dass derlei für viele Medien weniger relevant ist, als wenn irgendwo eine Einzelmaske negativ auf sich aufmerksam macht.