«Zähneklappernd zittern wir Deutschen dem Samstag entgegen», stöhnt «Blick»-Kolumnist Oskar Beck. Er ist 66 – und hat alle Tragödien gegen die Italiener erlebt, als Bub und als Journalist.
Wissen Sie, was ein Angstgegner ist? Man schläft plötzlich schlecht und sagt verrückte Dinge – wie unser deutscher Bundestrainer bei der letzten EM 2012. Vor dem Halbfinal beruhigte uns Joachim Löw mit einem nervösen Augenzucken und dem zittrigen Versprechen: «Die Zeit ist gekommen, um Italien zu besiegen.»
Genauso hätte er sagen können: Rauchen ist gesund. Kein anständiger Deutscher verkraftet je dieses Bild von Warschau: Mario Balotelli, wie er sich nach seinen zwei Toren das Trikot vom Waschbrettbauch reisst und seine zwei Fäuste derart vor der Lende ballt, dass sie aussehen wie Straussen-Eier aus Keramik. Jeder dachte spontan an den Extorwart Olli Kahn («Eier musst du haben, Eier!»), und Balotelli sah aus, als ob er drei davon hat.
Italien – mamma mia. Diesmal schon im Viertelfinal. Das ist nicht das, was der durchschnittlich veranlagte Deutsche als höchstes Glücksgefühl empfindet, auch wenn Jogi Löw immer wieder schwört: «Der Tag rückt näher, an dem wir Italien auch in einem grossen Turnier besiegen.» Ganz bestimmt – aber werden ihn unsere Enkel noch erleben?
Yamasiki, dieser Saukerl
Spätestens seit dem Drama von Dortmund glaubt es keiner mehr. Dort, im WM-Halbfinal 2006, zerstörten die Italiener in der Verlängerung unser Sommermärchen. Man ist ja als Journalist zur Distanz verpflichtet, aber ich sass in dem Moment auf der Tribüne wie entmannt. Tags darauf schwor mir mein Lieblingsitaliener im «Dolce Vita» im Rahmen des Beileids: «Italia hätte verloren Elfmeterschiessen.» Das ist der gönnerhafte Trost, der uns gerade noch fehlt zu unserem Dauerglück mit den Italienern – diesen Stimmungstötern bei unseren tollsten Jahrhundertspielen und Sargnägeln unserer schönsten Träume.
1970 ging es los. Halbfinal, WM in Mexiko. Noch heute steht auf einer Gedenktafel im Aztekenstadion: «17 junio 1970. Italia – Alemania. Juego del siglo.» Das Spiel des Jahrhunderts. In der Verlängerung, wir führten 2:1, griff sich mein Vater vor dem Fernseher ans Herz: «Ich muss ins Bett.» Aber auch dort liess das Infarktrisiko nicht nach, dank des unaufhörlichen Stakkatos der Jubelschreie von den Nachbarbalkonen: «I-ta-lia-a!» 2:2 Burgnich. 2:3 Riva. 3:3 Müller. 3:4 Rivera.
Gianni Rivera war ein toller Fussballer, aber dieses Tor war noch fürchterlicher als der Schiedsrichter. Yamasaki hiess der Saukerl, der uns zirka drei Elfmeter verweigerte. Halbwegs darüber hinweggetröstet hat uns später der TV-Spot, den der wunderbare Komiker Olli («Dittsche») Dittrich für eine grosse Elektronikfirma drehte. Er verkörperte darin einen italienischen Toni, wie der normal veranlagte Fussballdeutsche ihn sich vorstellt, glitzernde Goldkette, Sonnenbrille, einen Eimer Gel im Haar und immer einen cleveren Spruch auf den Lippen – und Toni lachte uns Deutsche dafür aus, dass wir uns für den Fussball Flachbildschirme kaufen.
«Was kaufen die Italiener?», grinste Toni. «Sie kaufen die Schiedsrichter.»Wenigstens da ist uns das Lachen einmal nicht vergangen. Ansonsten immer. Im einseitigsten aller WM-Endspiele, 1982 in Madrid, haben wir uns auf der Tribüne des Bernabeustadions als Deutsche vor Scham gar nicht mehr zu erkennen gegeben, und da war es wieder, dieses ohrenbetäubende, seelenzermürbende Geräusch: «I-ta-li-a!»
Nur Fritz Walter hatte keine Angst vor Italia
Der Einzige, der diese Angst vor Italia nie verstand, war Fritz Walter, der WM-Kapitän unserer 54er-Helden von Bern. Gelacht hat er immer und gesagt: «Man muss sich nur trauen.» So wie er, der vor einem Altar in Kaiserslautern der gutaussehenden Italia Bortoluzzi das Jawort gab, obwohl die ganze Pfalz angesichts der feurigen Italienerin tuschelte: «De schwarz Hex mit de rot Fingernägel, hoffentlich macht se de Fritz net fertig.» Stattdessen hat Italia unseren Fritz in Fahrt gebracht, und kurz danach waren wir Weltmeister. Aber 2002 starb Fritz Walter, keiner hört mehr auf ihn, und das Italien-Trauma ging weiter. Dortmund 2006. Warschau 2012.
Der Fussballgott ist Italiener. Wir Deutschen waren nur mal kurz Papst, und das reicht halt nicht. Jedenfalls hat sich Balotelli nach seinem Doppelpack damals in seine Kickstiefel die Botschaft gravieren lassen: «Bye, Bye, Germany!»