Thomas Müller steckt in einer monumentalen Schaffenskrise. Um sie zu meistern, sollte er Roger Federer anrufen.
Die Allianz-Arena leidet hörbar, wenn Thomas Müller (27) über den Rasen stakst, als sei er auf Valium. Früher gab er den bajuwarischen Anarchisten, säte Panik beim Gegner, jetzt gleicht er einem knochig-müden Rätsel. Irrläufe, Mutlos-Pässe, 1(!) Torchance. Doch keiner pfeift. Vielmehr seufzt das Rund bei jeder Aktion – Herrgott, hilf, dass unsrem Thomas was gelingt!
In den letzten drei Saisons erzielte Müller in 148 Spielen gesamthaft 79 Tore, bereitete 54 vor. Diese Saison: vier Tore, acht Assists. Wer ihn sieht wie gegen Schalke, wird Zeuge einer monumentalen Schaffenskrise. Nix mehr Müller oder was?
Sein Elend kam schleichend wie der Herbst, wenn die ersten Blätter fallen. Der eiskalte Vollstrecker versagte öfter vom Penaltypunkt, gegen Atletico mit finalen Folgen: Bayern flog raus. Durch die EM krampfte er sich, aufopfernd, müd, glücklos. Der Bomber schlappte.
«Eine Lebenskrise, wie wir sie alle mal haben», sagt ARD-Experte Scholl. Rätselhaft sind die Gründe, ausser man erkennt das Mahnzeichen, dass der entfesselte Fussball seine Kinder frisst. Pflichtbewusst kickte Müller immerfort, das zehrt, zumal sein Spiel verschleisst. Auch kann Müller nicht Messi. Er braucht Vorlagen und Raum, die ihm kongeniale Partner verschaffen. Der spielerisch-taktische Zerfall der Bayern unter «Papa Bär» Ancelotti trifft ihn hart.
Trotz Krise bleibt Müller Deutschlands beliebtester Kicker. Federer-Effekt Nr. eins wirkt (zu Nr. 2 später). Die Fans hoffen, dass unverhofft erfolglose Helden irgendwann wie Phönix aus der Asche steigen. Zumal, wenn sie wie Müller die aussterbende Spezies «Typ» verkörpern, die den Vereinen Identität verleiht. Dafür respektieren ihn selbst Bayern-Hasser.
«Wenn wir zu den Herrgottsschnitzern nach Oberammergau gingen und uns einen echten Bayern-Spieler schnitzten, käme Thomas heraus», sagt Karl-Heinz Rummenigge. Müller erinnert an die gute alte Fussballzeit. Nix Goldketteli, WAGs und Lamborghini. Und er entspricht dem Möchtegern-Selbstbild vieler Deutscher: bodenständig, gsellig, gschaffig, erfolgreich.
Müller stammt aus dem 2500-Seelendorf Pähl in Oberbayern, mit den Kollegen quasselt er gern als «Radio Pähl». Seine Frau Lisa lernte er mit 17 kennen, mit 20 tauschten sie die Ringe. Er wirbt für Kugelgrill, mag Pferde, lebt frisentechnisch in der Steinzeit. Wenn er mit offenem Mund losredet, und er redet oft und laut, könnte er in Fankurven intonieren.
Er blickt Reportern in die Augen, hört zu, antwortet frech, witzig, fernab vom tumben Gleichstrom der Kollegen. «Aussenminister» heisst er in der Nati. Seine fussballerischen Fähigkeiten? Überschaubar. Müller ist ein ehrgeiziger, dünnhaxliger Teutonen-Fighter. Macht er auf Kunst, lugt mitunter Drittliga-Müller hervor. Im Finish jedoch zelebriert er High-End-Facharbeit. Seine Tore sind koordinative Meisterwerke, wider alle Gesetze menschlicher Anatomie.
Als Goofy, langes-dünnes Müller, Bezirksliga-Weltstar wurde er beschrieben. Er selbst nennt sich «Raumdeuter». Aloysius Paulus Maria van Gaal erkannte als Erster sein Genie, verblüffende Wege und torgefährliche Räume zu entdecken. Müller spielte immer.
Dieser Instinkt, der Müller treibt wie alle Tormaschinen, ist angeboren. Fährnisse können ihn verschütten, aber er lässt sich wiederbeleben. Zeit heilt Wunden.
BILD fragte seine Leser: «Braucht Müller eine Pause?» 80% fanden ja. Also denn, Thomas, mach mal Pause! Frag Roger, wie man Federer-Effekt Nr. 2 erzeugt: triumphale Rückkehr nach langer Absenz. Wenns misslingt? Ja mei, is wuaschd. Müller sagts mit dem Komiker Karl Valentin: «Ich freue mich, wenn es regnet, denn wenn ich mich nicht freue, regnet es auch.»