Was Lausanne-Coach Fabio Celestini (40) von Bernd Schuster gelernt hat. Warum er in der Nati nicht glücklich war, und weshalb er die 2:7-Niederlage gegen YB genossen hat
Zinédine Zidane hat im BLICK gesagt Sie würden in Lausanne Wunder vollbringen.
Zizous Worte machen mich stolz. Aber er hat das wohl auf das bezogen, was wir in Lausanne erreicht haben. Mit dem kleinsten Budget der Liga und mit der jüngsten Mannschaft.
Sind Sie gar kein Zauberer?
Es gibt keine Wunder im Fussball. Wenn du Glück hast, dann denken die Leute du seist besser, als du in Wirklichkeit bist. Im Moment schreiben einige Journalisten ich sei ein Magier. Vielleicht sagen dieselben Leute in drei Wochen ich sei ein Esel.
Welches ist das Erfolgsgeheimnis von Lausanne?
Ich gebe mich nie zufrieden. Mann kann immer etwas verbessern. Tag und Nacht denke ich an meine Mannschaft.
Und wann schlafen Sie?
Ich denke tatsächlich noch im Traum daran wie ich mein Team weiterbringen könnte.
Was sagt Ihre Familie dazu?
Die wissen, wie ich funktioniere. Fussball ist meine Leidenschaft. Aber wenn ich jetzt nach unserem Interview nach Hause gehe, dann schalte ich das Handy aus. Dann bin ich für meine Frau und meine drei Kinder da.
Woher kennen Sie Zidane?
Als ich in Madrid bei Getafe spielte ging mein zweitältester Sohn mit Zidanes ältestem Sohn zur Schule. Meine Kinder haben in diesen fünf Jahren bei den Zidanes gespielt, seine Kinder kamen zu uns.
Vielleicht spielt Lausanne ja mal gegen Zidanes Real: Sie haben gesagt, Ihr Traum sei die Champions League.
Das hat BLICK geschrieben, aber ich habe es nie so gesagt.
Wie haben Sie es denn gesagt?
Fragen Sie mich, was mein Traum ist für diese Saison – oder was mein Traum ist im Fussball!
Was ist Ihr Traum für diese Saison?
So schnell wie möglich genügend Punkte zu haben, um nicht abzusteigen.
Was ist Ihr Traum generell im Fussball?
Natürlich wäre es schön, eines Tages im neuen Lausanne-Stadion die Champions-League-Hymne zu hören.
Eine kühne Vorstellung!
Was soll ich denn sagen? Mein Traum sei der Viertelfinal im Schweizer Cup? Wer nicht träumt ist halbtot. Ich träume jeden Tag. Ich habe damals gesagt: «Es ist mein Traum, eines Tages Champions League zu spielen.» Ich habe ganz klar gesagt: «Eines Tages»! Das ändert den ganzen Sinn des Satzes und es wäre eure Arbeit, das so rüberzubringen, wie ich es gesagt habe.
Sie lassen offensiv spielen, mit viel Risiko: Andere Aufsteiger wollen in erster Linie nicht verlieren.
Man kann jedes Spiel gewinnen. Daran glaube ich, bis mir jemand das Gegenteil beweist. Wenn wir uns hinten reinstellen, dann haben wir nie den Ball. Ich will den Gegner nicht vor meinem Strafraum haben – das wäre risikoreich. Davon lasse ich mich nicht abbringen.
Auch nicht durch ein 2:7 wie gegen YB?
Ganz im Gegenteil! Das war die beste Niederlage meiner Karriere! Wissen Sie, was die Spieler am Tag danach gesagt haben?
Was denn?
Sie sagten: «Trainer, wir hätten dieses Spiel gewinnen können.» Finden Sie das nicht unglaublich?
Unglaublich, ja!
Es war mein bisher bester Moment als Trainer. Ich habe das Spiel dreimal auf Video angeschaut und musste den Spielern Recht geben. In den ersten 30 Minuten, bis zum 3:0, sah YB keinen Ball. Wir hatten die besseren Chancen. Klar haben uns individuelle Fehler um den Lohn gebracht. Aber ich habe das Spiel gegen YB genossen. Wir haben in Bern besser gespielt als zum Beispiel gegen St. Gallen als wir 1:0 gewannen.
BLICK-Kolumnist Kubilay Türkyilmaz sagt, man erkenne an Ihrem Spiel die Barcelona-Fussballschule.
Unglaublich, wie alle schwärmen plötzlich (lacht). Ich frage mich, wie lange das noch so bleibt. Was denken Sie?
Vermutlich bis zur ersten Niederlagenserie.
Genau deswegen sage ich ja: Vielleicht bin ich bald der Esel. Im Ernst: Barcelona ist einmalig. Einen Xavi, einen Iniesta gibt’s nur einmal. Solche Spieler habe ich nicht. Wir können nicht 50 Pässe spielen und dann macht vorne Messi das Tor. Aber wenn Kubi damit meint, dass wir Ballbesitzt anstreben, dass wir nach vorne spielen wollen, dann nehme ich das Kompliment gerne an. Aber wissen Sie: Ich schaue die Spiele von Barcelona gar nicht?
Tatsächlich?
Ja, weil da nur Barça spielt. Ich mag die Mannschaften von Marcelo Bielsa, von Jorge Sampaoli. Ich mag Sevilla. Die haben nicht die besten Individualisten. Da steckt richtig viel Arbeit dahinter. Es bringt mir nichts, wenn ich die Spielweise von Real oder Barcelona studiere. Ich habe keinen Cristiano, keinen Messi. Die Arbeit von Guardiola, Mourinho oder Ancelotti hat mit meiner Arbeit kaum etwas zu tun.
Sie haben unter Bernd Schuster bei Getafe gespielt, waren dann sein Assistent bei Málaga: Was haben Sie von ihm gelernt
Bernd ist ganz anders, als die Leute denken. Er wurde nie laut. Nicht einmal wenn wir in der Halbzeit 0:4 hinten lagen. Als Spieler habe ich oft gedacht: «Der muss doch jetzt mal schreien, uns den Arsch versohlen.» Schuster hat immer versucht, das Positive raus zu streichen: «Kommt Jungs, vergessen wir die erste Halbzeit. Spielt so, wie ihr es könnt. Bleibt zuversichtlich.» Das habe ich von ihm gelernt. Ich war am Anfang sehr emotional in der Kabine. Der Trainer muss spüren, was das Team braucht. Was ich als Trainer denke, was ich fühle ist zweitrangig. Eigentlich ist Schuster ein Trainer für grosse Teams. Er will den Spielern helfen. Er hat bei Atlético, bei Barça und Real gespielt, war dann auch Trainer bei Real. Da hast du die besten Spieler, die musst du bei Laune halten. Bei einem kleinen Klub musst du den Spielern auch mal an die Eier gehen. Das konnte er nicht so gut. Dafür war er zu ruhig.
Unter Schuster gab es diesen unglaublichen Sieg von Getafe gegen Barcelona...
...wir hatten das Halbfinal-Hinspiel im Cup mit 2:5 verloren. Barcelona hatte schon die Tickets fürs Endspiel gedruckt. Bernd hat uns gesagt: «Wir können dieses Resultat aufholen. Die nehmen uns nicht Ernst.» Barça spielte ohne Messi, weil der im Hinspiel ein Solo übers ganze Feld gemacht und dann ein Tor erzielt hatte. Sie dachten, wir würden Messi deswegen umsäbeln. Aber sonst waren alle dabei: Iniesta, Xavi, Piqué, Ronaldinho, Eto’o. Wir hätten diesen Spielern nicht einmal die Schuhe binden können. Individuell waren sie so viel stärker.
Weshalb hat Getafe trotzdem 4:0 gewonnen?
Weil wir es im Kopf hatten. Weil wir wussten, wir können sie schlagen. Nicht jeden Tag. Aber dieses eine Mal. Genau deswegen bin ich so, wie ich bin. Das habe ich bei Troyes in Frankreich, bei Levante und Getafe gelernt: Dass man als Kleiner an den Sieg glauben muss. Dass alles möglich ist, wenn die Einstellung stimmt. Dem Willen sind keine Grenzen gesetzt. Es gibt so viele Menschen, die dich einschränken wollen. Aber nur du selber kannst dir Grenzen setzen. Deshalb sage ich meinen Spielern: «Glaubt an euch, seid mutig!»
Stimmt es, dass Sie als Jungprofi Selbstzweifel hatten, weil Sie zu dick waren.
Oh, ja! Ich war ein Dickerchen: Meine Mutter hat wunderbar gekocht. Ich verdrückte am Mittag einen Riesenteller Carbonara und dann noch ein Dessert. Zwei Stunden später sollte ich trainieren. Als ich mal Blaise Piffaretti von der Seite anschaute und sah, wie fit und muskulös er war, wusste ich, dass ich etwas ändern musste. Ich fühlte mich fett wie ein Schwein. Ich ging zum Ernährungsberater. Von da an habe ich für mich selber gekocht, habe die Lebensmittel abgewogen.
Sie waren Captain in Marseille und Getafe: Weshalb hat es in der Schweizer Nati nie so richtig geklappt?
Ich habe 35 Länderspiele in zehn Jahren gemacht. Das ist nicht viel. Ich spielte selten gut. Ich habe nie zwei Spiele hintereinander von Anfang an gemacht. Aber das war vor allem meine Schuld.
Was bleibt ist ihr 2:1 gegen Irland 2003.
Das war sehr wichtig auf dem Weg zur EM 2004. Was mich an meiner Nati-Karriere wirklich ärgert, ist das Spiel bei der EM 2004 gegen England, das wir 0:3 verloren. Da habe ich vor dem 0:1 versagt. Aber ich muss auch sagen: Yakin durfte mir diesen Ball niemals spielen. Es war ein Freistoss. Alle gehen nach vorne. Hakan spielt den Ball zu mir. Ich bin nicht vorbereitet und verliere den Ball. Gegenstoss – Tor! Dabei hatte ich eigentlich gut angefangen. Danach stand ich total neben den Schuhen.
Bei Ihrer ersten Anstellung als Cheftrainer hatten Sie auch kein Glück: Weshalb sind sie bei der AS Terracina schon nach wenigen Monaten gegangen.
In Italiens Serie D habe ich die hässlichste Seite des Fussballs kennengelernt. Das Verrückte ist: Wir waren Zweiter, hatten kein Spiel verloren. Aber es gab Spieler, die ihre Löhne nicht erhielten. Junge Spieler, die sich nicht einmal etwas zu Essen kaufen konnten. Es war ein Desaster. Es gab Trainer die bezahlten, um trainieren zu dürfen?
Wie bitte?
Ja, das war für mich auch neu. Die kamen mit einem Sponsor und legten Geld auf den Tisch, damit sie ein Team trainieren durften. Unglaublich. Deswegen bin ich gegangen. Als Erfahrung hat mir aber auch das geholfen.
Sie tragen ein Tattoo von Che Guevara auf dem Arm. Dürfen wir das fotografieren?
Lieber nicht. Die Leute begreifen nicht, weshalb ich das habe stechen lassen. Viele denken an den Revolutionär, der auch Menschen getötet hat. Ich denke an den Arzt, den Journalisten, den Abenteurer. Ich habe nicht genügend Zeit, um richtig zu erklären, was er mir bedeutet. Es sei denn, Sie geben mir dafür drei Seiten im SonntagsBlick. Che ist zur Popfigur geworden auf Fahnen und T-Shirts. Oder dann heisst es am Ende noch, ich sei Leninist, oder Marxist. Das Tattoo ist eine sehr persönliche Sache. Ich will mich nicht erklären müssen. Ich hoffe, Sie verstehen das.