Er lebt den Traum von Tausenden von Schweizern. Der Maler Renato Steffen schaffte den Sprung von der Baustelle in die Nati. Am Dienstag kämpft er gegen Portugal um die WM-Teilnahme.
Ausgerechnet Renato Steffen ist ein Vorbild für jeden Hobbykicker der Schweiz. Ausgerechnet der als Bad Boy verschriene Heisssporn. Denn der 1,70 Meter kleine Flügelflitzer hat den Riesensprung geschafft, von dem jeder Amateur träumt. Vom Maler zum Fussballprofi. Vom Maler zum Nati-Spieler. «Ich bin der beste Beweis, dass man es auch vom Hobby-Fussballer zum Profi schaffen kann. Vielleicht war ich charakterlich nicht immer und überall das ganz grosse Vorbild. Aber seien wir ehrlich, man muss dazu gemacht sein, um so auf dem Platz zu sein wie ich», sagt Steffen. «Doch mein Weg kann als Vorbild dienen. Das macht mich stolz.»
Bei Aarau rausgeworfen
Der 24-Jährige lacht verschmitzt und rutscht auf der Holzbank in der Stadionbeiz des FC Solothurn hin und her. Noch vor 5 Jahren war Steffen froh, dass er hier überhaupt sitzen durfte. Als Spieler eines Erstligisten. Damals kam er von Schöftland aus der 2. Liga. Hätte er denjenigen, der zu dieser Zeit prophezeit hätte, dass er in fünf Jahren mit der Nati in der WM-Quali spielt, einweisen lassen? «Nein, ich hätte ihn nicht für verrückt erklärt. Ich hätte ihm eher gesagt: Schön, dass du mir das zutraust», sagt Steffen.
Denn es war jener Moment damals, als er ahnte, dass sein Traum vom Profi-Fussball dennoch aufgehen könnte. Nachdem er im Sommer 2007 bei Aarau gescheitert war: Da warf man den 15-Jährigen aus der U16, weil er nicht genügte, weil er undiszipliniert gewesen sein soll. Steffen: «Bei den Geschichten, die über mein Ende bei Aarau erzählt werden, stimmt vieles nicht. Dass ich undiszipliniert gewesen sein soll und so weiter. Einige zuständige Personen von damals müssen das jetzt wohl sagen, weil sie mich wegschickten. Dass ich heute beim FCB und in der Nati spiele, ist auch deshalb sicher eine Genugtuung.»
Man merkt: Steffen litt damals. Er musste zu Schöftland in die B-Junioren. In den Breitenfussball. «Das war mein grösster Knick. Ich brauchte ein Jahr, bis ich wieder Spass am Fussball hatte. Bis ich mich wieder geordnet hatte. Aber ich hatte einfach immer dieses Gefühl, dass ich es schaffen kann.»
«Bin ein Strassenkicker»
Vier Jahre spielt er bei Schöftland. Erst bei den Junioren, dann in der 2. Liga interregional. Nach einer Saison bei Solothurn verpflichtet der FC Thun den als Maler arbeitenden Flügelflitzer. Via Thun gehts zum grossen YB. Dann zum noch grösseren FCB. Von da in die Nati. Hat diese spezielle Laufbahn ihn verändert? «Ich bin dabei immer der Strassenkicker geblieben, der nach Gefühl spielt», sagt Steffen.
Die Jahre bei den Amateuren hätten ihm viel gebracht, sagt er. «Da habe ich gelernt, zu beissen. Und mich gegen körperlich stärkere Spieler zu behaupten. Ich spielte ja schon früh gegen die Erwachsenen und nicht nur gegen Gleichaltrige. Das hat mir geholfen.»
Heute ist Steffen Schweizer Meister mit dem FCB. Und am Dienstag startet er mit der Nati in die WM-Qualifikation. Gegen Europameister Portugal.
Welch steiler Aufstieg! Welch Tellerwäscher-Karriere! Dabei sei er bei den Amateuren nicht unbedingt der beste Fussballer gewesen, sagt der Aargauer. «Ich habe da einige ganz gute Spieler gesehen», so Steffen.
Ist Steffen einzigartig?
Kaum ein anderer Schweizer Fussballprofi hat Erfahrung im Breitenfussball. Im Vergleich zu Steffen haben sie einen geteerten Weg hinter sich. In Jugend-Akademien von Grossklubs. Sie nahmen Stufe für Stufe – professionell betreut und gefördert. Gut beraten – auf und neben dem Platz. Nicht so Steffen. «Im Amateur-Fussball gibt es keine grossen Vorschriften. Da kannst du auch mal eine Cola trinken.» In den Trainingslagern eines Zweitligisten ist bekanntlich der Ausgang am Abend genauso wichtig wie die Trainingseinheiten. Das war beim heutigen Nati-Star nicht anders.
«Ich habe immer mitgezogen, auf und neben dem Platz», sagt Steffen und lacht. «Man musste mich jeweils nicht überreden, noch in den Ausgang zu kommen, eher dann, als es darum ging, wieder rechtzeitig zu Hause zu sein.»
Heute lebt er seriös, ein Asket ist er aber nicht. «Ich habe es gerne, wenn mal was läuft. Nur der Zeitpunkt muss natürlich stimmen. Ich vergesse nie, dass ich Profi bin.»
Ist Steffens Weg einzigartig? «Es wäre schön, wenn ich keine Ausnahme wäre», sagt er selber. Dazu brauchts mehr als nur Talent. Steffens Tipps an alle Hobbykicker: «Man muss sehr viel zurückstecken. Man muss sich klar vorgeben, wo man zum Beispiel in drei Jahren sein will. Und ohne Kompromisse darauf hin arbeiten.» Und: «Wer vom Maler zum Profi werden will, dem werden nicht Steine, sondern Felsbrocken in den Weg gestellt. Ich habe immer daran geglaubt, dass ich es schaffe, egal, wie gross die Hindernisse auch schienen.»
Nicht alle waren damals bei Schöftland so optimistisch. Nicht im Klub, nicht auf der Baustelle. Steffen erinnert sich an einen deutschen Arbeitskollegen. «Der hat mir immer gesagt, dass ich zu alt sei, um Profi zu werden, dass der Zug längst abgefahren sei.»
Den Zug hat er erwischt. Diesen Sommer sogar den Charter der Nationalmannschaft nach Frankreich an die EM, hätte er sich kurz davor nicht einen Muskelfaserriss zugezogen. «Es war kein gutes Gefühl, nicht dabei sein zu können und die Spiele vor dem TV anschauen zu müssen», sagt Steffen. «Irgendwann habe ich mich damit abgefunden, dass es wohl einfach so sein müsse.» Mit diesem Argument habe ihn früher seine Mutter jeweils getröstet. Wenn er wegen einer Verletzung nicht ins Skilager mitfahren durfte, zum Beispiel. «Es hat mir schon damals geholfen», sagt der Natispieler.
Wenn Steffen so spricht, dann ist der Bad Boy ganz weit weg. Dann ist Steffen ein Vorbild. Dieser einfache Strassenkicker, der noch heute seine Möbel selber zusammenbaut, in der Wohnung rumwerkelt, als wäre er auf seiner Baustelle. Der noch heute seinen Kumpel von der Baustelle seinen besten Freund nennt. Er, der es geschafft hat. Der vom Maler zum Natispieler wurde! Gut möglich, dass er am Dienstag gegen Europameister Portugal zu seinem Nati-Debüt in einer WM-Quali kommt. Auf der Aussenbahn fehlt der gesetzte Superstar Xherdan Shaqiri verletzungsbedingt. Steffen sieht dem Kracher gelassen entgegen. «Ich bin nur schon froh, dass ich nach der Verletzung wieder dabei bin. Obwohl Shaq fehlt, ist die Konkurrenz gross. Ich denke da an Breel. Ich gebe Vollgas. Aber sollte ich nicht spielen, ist das nicht tragisch. In der Nati bin ich ein Neuling, da muss ich noch etwas hinten anstehen.»
«Ich habe das Feeling»
Der freche Heisssporn stellt sich freiwillig hinten an? Er schmunzelt und sagt: «Ich habe das Feeling dafür, wann ich mal das Maul aufreissen darf, und wann nicht. Dafür muss man erst mal etwas leisten.» Und wie malt sich der ehemalige Maler von der Baustelle seine Zukunft aus? «Mein grosses Ziel ist es, irgendwann in einem grossen Klub im Ausland zu spielen. Am Ende möchte ich sagen können, dass ich das Maximum aus meinen Möglichkeiten gemacht habe.»