Während für die Segel-Wettkämpfe tonnenweise Abfall aus Rios Guanabara-Bucht gefischt wird, entsteht dort, wo die Welt nicht hinschaut, eine riesige Müllhalde.
Was für ein trauriges Schauspiel: Gestern starteten in Rios Guanabara-Bucht unter den Augen des «Cristo Redentor» die Surf- und Segel-Rennen. So spektakulär war das Panorama wohl noch nie. Und die Welt stellt sich bloss eine Frage: Wie dreckig ist das Wasser?
Bei Test-Events letztes Jahr wurde fast ein Zehntel aller Athleten krank. Die gemessenen Werte lagen 1,7 Millionen Mal (!) über der internationalen Norm. Trotzdem gab das IOC kurz vor den Spielen Entwarnung: Die Gesundheit der Sportler sei nicht gefährdet.
«Wir machen uns keine Gedanken darüber. Über den Sieg entscheiden andere Faktoren», sagt der Zürcher Segler Yannick Brauchli (28), der morgen erstmals ins Geschehen eingreift. «Die Situation hat sich zuletzt stark verbessert.» Die Gründe dafür: 17 Abfang-Netze und 11 Müllschlucker-Boote fischen seit Wochen nach Abfall. Eine Sisyphus-Arbeit, denn irgendwas entgeht ihren Fängen immer.
Zudem sind die Massnahmen nur zynische Symptombekämpfung: Die Welt soll das Ausmass der Umweltkatastrophe nicht mitkriegen. Denn was gesammelt wird, ist nur der Abfall an der Oberfläche. Die Fäkalien im Wasser, die ungefilterte Brühe von verschiedensten Industrien, sie sind immer noch da. Wer daheim auf dem Sofa zuschaut, riecht nichts davon. Brauchli: «Wir waschen darum sofort nach dem Segeln Gesicht und Hände. Aber insgesamt wird das Problem grösser dargestellt, als es für uns ist.»
Doch das ist nur eine Seite der Medaille. Denn die Guanabara-Bucht ist fast fünfmal so gross wie der Zürichsee, der Bereich für die Segel-Rennen nur ein winziger Teil davon. Er ist nahe an der Atlantik-Mündung gelegen, der Austausch mit dem sauberen Meerwasser deswegen gross.
In anderen Abschnitten der Bucht ist das Wasser dagegen ein einziger Müllteppich. Plastik, Dosen, Autoreifen, aber auch Fernseher, Möbel und Kadaver haben die Anwohner schon gefunden.
Früher lagen hier Postkarten-Strände, so weit das Auge reichte. Ein paar wenige haben zwar überlebt, doch baden sollte man nicht mal dort. Wo sich der Abfall häuft, streunen heute Katzen und Hunde auf der Suche nach Essbarem herum.
Sergio Ricardo (48), Ökologe und Aktivist, nennt drei Hauptgründe für die Umweltkatastrophe: «Erstens leiten 14 000 Industrie-Betriebe Teile ihres Abfalls direkt in die Bucht. Zweitens gibt es praktisch keine Kanalisation: 18 000 Liter ungereinigte Abwasser laufen ins Meer – pro Sekunde! Und drittens wird für den Grossteil der 10 Millionen Anwohner der Abfall nicht angemessen entsorgt. 90 Tonnen davon landen pro Tag im Wasser.»
Doch so sehr die lokalen Behörden versuchen, die peinliche Situation vor der Welt zu verstecken, das Schicksal liegt nicht in ihren Händen: Regnet es, schwappt der ganze Abfall der umliegenden Hügel in die Bucht. Die nächste Ebbe würde das Wasser und mit ihm den Abfall unweigerlich in Richtung olympische Segel-Zone ziehen. Dann wären sogar die Müllschlucker-Boote und Abfang-Zäune überfordert. Der Wetterbericht für Mittwoch: Regen.