Die ersten Tage in Wimbledon liefern traditionell Märchen-Stoff. Die Schweizerin Amra Sadikovic schreibt eines der schönsten. Sie trifft im ersten Major gleich auf dem Centre Court auf Serena Williams (14 Uhr).
Es war einmal ein Mädchen namens Amra, das in Mazedonien geboren wurde. Weil dort Krieg herrschte, zogen die Eltern Sadikovic mit ihr und den zwei Geschwistern in die Schweiz. Nach Birr, Kanton Aargau. Mit sieben begann die kleine Amra Tennis zu spielen.
Heute – zwanzig Jahre später – steht die 1,86 m grosse junge Frau gleich beim ersten Major-Auftritt auf dem heiligen Tennis-Rasen von Wimbledon! Dort gibts keine braunen Stellen, keine Löcher, wie es «Aschenputtel» Amra von kleineren Rasenturnieren oder den Qualimühlen kennt.
Das auf 8 mm geschnittene Gras wird noch jungfräulich grün sein. Die grosse Gala – und gegenüber steht Weltnummer 1 Serena Williams! Die Amerikanerin, die Amra wegen ihrer Power stets so bewundert hat.
«Ein Traum»,sagt sie. Er ist umso schöner, da die Jahre dazwischen oft albtraumhaft waren. Nach Jahren, in denen sie sich mit einem Mini-Budget durch die ITF-Tour schlägt, wo sie acht Turniere gewinnt, muss sie Ende 2010 wegen eines Burnouts pausieren.
«Ich fühlte mich oft sehr einsam», erzählt sie heute, «das Leben hat mir so keinen Spass gemacht.» Vor zwei Jahren gibt sie ihre Karriere auf, gibt fortan Tennisstunden in Frenkendorf BL. Mit dem Geld, das sie dort verdient, kehrt sie ein Jahr später zurück, weil ihr der Wettkampf doch fehlt. «Das tolle Comeback von Timea gab mir den letzten Kick dazu.»
Ein guter Entscheid – der sie bis ins Märchenland Wimbledon führt. Als Nummer 148 der Welt ist sie ihrem Wunschziel Top 100, das ihr einst Heinz Günthardt voraussagte, nah wie nie.
«Dass Heinz an mich glaubte, beruhigte mich», hatte sie vor Jahren über den Fed-Cup-Captain gesagt. «Er half mir auch sehr, als ich im Burnout an mir zweifelte.»
Günthardt gibt ihr hier die letzten Tipps gegen Serena Williams. «Ich habe Respekt, aber keine Angst», sagt Amra, die heute im Beisein ihrer Mutter, Schwester Melissa und eines guten Freunds nichts zu verlieren hat. Nur sicher rund 40 000 Franken zu gewinnen – das ist mehr, als sie jemals in einer ganzen Saison verdiente.
Und wenn sie nicht verlieren wird, kommen heute über 20 000 dazu. Im Märchen ist träumen ja erlaubt.