Bern und St. Gallen sind inPhiladelphia Nachbarn. Beimersten Treffen der beiden Schweizer Sport-Stars Mark Streit und Tranquillo Barnetta war SonntagsBlick dabei.
Das «Rouge 98» gehört zu den feinsten Restaurants in Philadelphias Innenstadt. Am Tisch mit der schönsten Aussicht auf die Promenade am Ritterhouse Square Park wird an diesem Abend nicht Englisch, sondern heimelig Schwyzerdütsch gesprochen.
Der Stadtberner Mark Streit, seit zwei Jahren Vize-Captain bei den Philadelphia Flyers, hat «Philly’s» neue Fussballhoffnung mit breitem Ostschweizer Dialekt zum Abendessen eingeladen – Tranquillo Barnetta, der Ende Juli nach elf Jahren in der deutschen Bundesliga einen Vertrag über eineinhalb Jahre beim MLS-Team Philadelphia Union unterzeichnet hat. Es ist das erste Treffen zwischen dem 104-fachen Schweizer Eishockey-Internationalen und dem Flügelspieler, welcher 75 Länderspiele mit unserer Nati bestritten hat.
Bevor die Hauptgänge mit Lachs und Beefsteaks serviert werden, ordert Streit als Appetizer Calamari sowie Rinds- und Thunfischtartar. Während sich Mark knapp drei Wochen vor dem Saisonstart in der NHL ein Glas Malbec gönnt, begnügt sich «Quillo» am Abend vor seinem achten Spiel in der Major League Soccer mit Mineralwasser ohne Gas.
Mit der Bestellung von Alkohol hatte der 30-Jährige aus dem St. Galler Rotmonten Quartier im Land der unbegrenzten Unmöglichkeiten bis jetzt wenig Erfolg. «Vor ein paar Tagen wollte ich hier in einem Restaurant auch ein Glas Rotwein trinken. Der Kellner hat mir meinen Wunsch aber nicht erfüllt, weil ich keinen Ausweis dabei hatte und nicht beweisen konnte, dass ich den 21. Geburtstag bereits hinter mir habe», sagt Barnetta und schmunzelt.
Hymne, Feuerwerk, Gänsehaut vor dem Spiel
Streit, der das Mindestalter für Alkoholausschank in den USA bereits vor 16 Jahren erreicht hat, hakt grinsend nach: «Hast du dich ansonsten hier gut eingelebt?» Barnetta nickt: «Weil ich direkt aus dem Urlaub zu einer Mannschaft gekommen bin, die bereits im März in die Saison gestartet ist, hatte ich anfänglich Probleme mit dem Rhythmus. Mittlerweile fühle ich mich hier richtig wohl. Die meisten US-Spieler sind zwar taktisch nicht so gut geschult wie die europäischen Profis, aber das technische Niveau ist gut und das Tempo im Spiel hoch. Und die Stimmung ist in einigen Stadien grandios.»
Das Auswärtsspiel bei Orlando City ist Barnetta stimmungsmässig besonders eingefahren: «Da sorgten zum einen die 40 000 Fans für ein Gänsehaut-Feeling. Und nachdem ein Männerchor vor dem Spiel die Nationalhymne intonierte, wurde ein gigantisches Feuerwerk gezündet. Obwohl es sich hier um ein normales Meisterschaftsspiel gehandelt hat, ging es zu und her wie bei einem europäischen Cupfinal. Und auch unser Heimstadion war zuletzt zweimal mit 18 000 Zuschauern ausverkauft.»
Streit: «Beim Fussball müsste ich zu viel secklä»
24 Stunden später taucht auch Streit erstmals in Barnettas «Wohnzimmer» im PPL-Park auf. Vor allem weil parallel die American Football-Giganten der Philadelphia Eagles zu Hause die Dallas Cowboys herausfordern, kommen diesmal nur 14 000 zum Spiel der Union gegen Houston Dynamo.
Dass die Stimmung trotzdem früh den Siedepunkt erreicht, liegt an Barnetta, der nach drei Minuten sein erstes MLS-Tor erzielt. Danach leitet er auch noch das 2:0-Schlussergebnis ein.
Streit jubelt von der Tribüne aus seinem Landsmann zu. «Ich bin zwar nicht der ganz grosse Fussball-Experte, aber ich konnte in diesem Match niveaumässig zum Klubfussball in der Schweiz keinen Unterschied erkennen. Ganz besonders beeindruckt haben mich Tranquillos Laufwege. Er war wirklich immer anspielbar. Da ist mir wieder einmal bewusst geworden, dass Fussball kein Sport für mich wäre. Da müsste ich viel zu viel ‹secklä›. Ich war nie ein Laufwunder. Ohne Schlittschuhe komme ich nicht wirklich zügig vorwärts», gesteht Streit, während er zum Matchwinner in die Garderobe marschiert.
Dort warten zahlreiche Journalisten auf ein paar griffige Quotes des Goal-Helden «Made in Switzerland». Barnetta muss selber lachen, wenn er sich erinnert, wie er sich in einer der ersten Begegnungen mit den Ami-Reportern ziemlich entblösst hat: «Weil in den europäischen Fussball-Garderoben ja wirklich nur die Team-Mitglieder Zutritt haben, bin ich nach meinem ersten Spiel hier ziemlich erschrocken, als mir aus der Dusche kommend die Journalisten gegenüber standen. Zum Glück war in diesem Moment auch mein «Tüechli» in der Nähe. Die Teamkollegen haben mir dann erklärt, dass die Journalisten in den USA immer 15 Minuten nach dem Spiel in der Garderobe auftauchen. Auch daran habe ich mich mittlerweile gewöhnt.»
Gewöhnungsbedürftig ist im US-Sport auch die Tatsache, dass die Stars ihre Trikots nicht gratis behalten können. Weil die Klubs die Leibchen ihrer prominenten Angestellten nach der Saison versteigern wollen, muss Barnetta dreissig Dollar bezahlen, wenn er ein Match-Dress behalten will. Streit muss für seine Hockey-Trikots noch tiefer in den Geldbeutel greifen: «Ich habe für das Montreal Canadiens Shirt, das ich als Erinnerung an meinen allerersten NHL-Match-Einsatz getragen habe, 600 Dollar bezahlt.»
Trotzdem will sich «Streiti» zum NHL-Saisonauftakt bei seinem neuen Kumpel mit einem Flyers-Shirt für das Union-Leibchen revanchieren, das ihm Quillo in der Garderobe geschenkt hat. «Am 12. Oktober haben wir unser erstes Heimspiel gegen Florida, ich werde dich gerne dazu einladen.»
Barnetta freut sich: «Ich kann zwar selber nicht wirklich gut Schlittschuhlaufen, aber als ich bei Bayer Leverkusen spielte, habe ich im benachbarten Köln Spiele der dort ansässigen «Haie» besucht. Dabei hat mir immer imponiert, in welcher Intensität es auf dem Eis hin und her geht. Zudem bewundere ich jeden Eishockeyprofi, der regelmässig pro Woche drei bis vier Ernstkämpfe absolviert. Wir Fussballer jammern ja schon, wenn wir ausnahmsweise zwei Spiele pro Woche haben ...»
Beeindruckt ist Barnetta auch von Streits 190-Quadratmeter-Apartment in der Innenstadt. Quillo ist nicht nur von der fantastischen Aussicht begeistert, welche Streit von hier aus auf Philadelphias Skyline hat. «Marks Wohnung im 26. Stock ist nicht nur wunderschön, sie ist auch blitzsauber. Ich selber wohne sechs Strassen von ihm entfernt im zweiten Stock von einem Apartment-Komplex. Weil ich aber im Haushalt bei weitem nicht so ordentlich bin wie Mark, würde ich nie einen Fotografen zu mir reinlassen.»
Der Papst vertreibt Streit aus seiner Wohnung
Zurzeit deutet vieles darauf hin, dass Barnetta sein unaufgeräumtes Heim bald für längere Zeit verlassen wird. «Aktuell haben wir mit Union neun Verlustpunkte Rückstand auf den letzten Playoff-Platz. Wenn wir dieses kleine Fussball-Wunder nicht schaffen, habe ich ab Ende Oktober drei Monate Urlaub bis zum Auftakt zur neuen Saison. Einen Teil dieser Ferien werde ich sicher in St. Gallen verbringen.»
Den Fans des FC St. Gallen wäre es am liebsten gewesen, wenn ihr verlorener Sohn bereits nach seinem Abgang bei Schalke zurückgekommen wäre. «Ich denke nach wie vor daran, dass ich meine Karriere eines Tages in St. Gallen beende. Aber vorher wollte ich noch in ein Land wechseln, das mich nicht nur sportlich herausfordert, sondern auch meinen geistigen Horizont erweitert. Hier kann ich eine Fremdsprache perfekt erlernen, ich gehe auch einmal in der Woche in den Englischunterricht.»
Es gibt aber noch viele andere Dinge, die Barnetta an seinem Dasein in der 1,5-Millionen-Stadt am Delaware River behagen: «Es gibt hier extrem viele, ganz tolle Restaurants und man braucht nicht lange, bis man von der City in der Natur ist. Und weil ich französische Teamkollegen habe, die ein dem ‹Differenzler› sehr ähnliches Kartenspiel beherrschen, komme ich hier sogar regelmässig zum Jassen.»
Und Mark Streit? Er vermisst neben seiner Familie, den Freunden und seiner Herzdame Fabienne in Philadelphia das Schwimmen in der Aare. Zudem zeigt momentan der Papst unserem Eisheiligen, wo Gott hockt. Weil Papst Franziskus an diesem Wochenende in Philadelphia weilte, muss Streit wegen den vielen Strassensperren in der Innenstadt für ein paar Tage von seiner Traumwohnung in ein Hotelzimmer beim Trainings-Zentrum der Flyers ziehen.